Auf dem Weg zum Welterbe Altes Land
Welterbe-Bewerbung: Kulturlandschaft Hollerkolonie Altes Land
Im März 2021 bewarben sich die Kommunen Lühe und Jork um die Aufnahme des Alten Landes auf die deutsche Tentativliste beim Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. Diese Bewerbung um die Anerkennung zum UNESCO-Weltkulturerbe hatte eine interkommunale Arbeitsgruppe mit großem Engagement des Vereins für Anerkennung des Alten Landes zum Welterbe der UNESCO e.V. erstellt. Leider konnte das Land Niedersachsen diese Bewerbung im Rahmen des aktuellen Auswahlverfahrens nicht berücksichtigen.
Und es geht weiter...
In einem Strategiegespräch bekannten sich im Juni 2022 die Samtgemeinde Lühe, die Gemeinde Jork und der Landkreis Stade zu einem dritten Anlauf um die Anerkennung zum UNESCO-Weltkulturerbe. Bei diesem Mal können die Altländer auch mit der Unterstützung und Rückendeckung aus Hannover rechnen, bekräftigte der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler.
Hier können Sie den Flyer zur Welterbe-Bewerbung runterladen.
Welterbewürdig - warum gerade das Alte Land?
Luftbild Altes Land (2018)© Martin EilsenDas Alte Land repräsentiert eine einzigartige im 12. und 13. Jahrhundert gestaltete lineare Kulturlandschaft, die unseren Raum auch heute noch kennzeichnet. Holländer kamen im Hochmittelalter und brachten ihr neues, freies Rechtssystem mit, legten Deiche an und bauten ein einzigartiges Entwässerungssystem. Das Alte Land ist ein außergewöhnliches Zeugnis hochmittelalterlichen, intereuropäischen Technologietransfers und der Mobilität der Menschen. Damit legten sie den Grundstein für die frühen demokratischen Strukturen der Selbstverwaltung als Landesgemeinde und die außerordentliche Fruchtbarkeit der mit dem Klei des Grabenaushubs gedüngten Bodens. Das im Alten Land durch die hohe Luftfeuchtigkeit bedingte Mikroklima zwischen den Gräben der Kulturlandschaft und der damit einhergehende Wohlstand führten zur Bildung einer selbstbewussten Gesellschaft, einer kunstfertigen, besonders zahlreichen Handwerkerschaft und vor allem einer wohlhabenden Bauernschicht. Dies alles bezeugen 363 Bodendenkmale, u. a. alle Fluss- und Hinterdeichlinien und 479 Baudenkmale in der Samtgemeinde Lühe und der Gemeinde Jork, die Streifenparzellierung, die Altländer Kirchen, Haus- und Hofformen und vielfältige wasserbauliche Strukturen. Die bis heute durchgehend genutzte Kulturlandschaft Altes Land mit ihrer charakteristischen Streifenparzellierung (Beet-Graben-Struktur) repräsentiert in ihrer Gesamtheit den weitverbreiteten, heute jedoch vielfach gefährdeten, europäischen Kulturlandschaftstypus. Die Hollerkolonisation ist als hochmittelalterlicher, europäischer Vorgang zu bewerten, bei dem die freiheitlich besitzenden Bauern durch ihr innovatives Rechtssystem zur Grundlage und Vorläufer einer modernen Gesellschaft wurde. Das Alte Land ist das besterhaltene Zeugnis einer mittelalterlichen Hollerkolonie – besser erhalten als jede andere Tochterkolonie und sogar als die Mutterkolonie der Holländer selbst.
Die vier Kriterien für das Alte Land
Ausschnitt Kurhannoversche Landesaufnahme Nr. 14 Horneburg (18. Jh.)© Gemeinde JorkJede Welterbestätte muss mindestens eine von zehn UNESCO-Kriterien erfüllen, die so den außergewöhnlichen universellen Wert (Outstanding Universal Value = OUV) begründen. Für die Bewerbung des Alten Landes wurden die folgenden vier Kriterien ausgewählt und begründet.
Kriterium (i) Meisterwerk menschlicher Schöpfungskraft: Das im 12. und 13. Jh. in Handarbeit geschaffene 12.000 km umfassende Entwässerungssystem mit Deichen, Schleusen etc. unter Zuhilfenahme natürlicher Gegebenheiten, für welches ca. 15 Mio. m³ Erde ausgehoben und in den Deichen verarbeitet wurden, stellt ein Meisterwerk menschlicher Schöpfungskraft dar.
Kriterium (ii) Schnittpunkt menschlicher Werte: Das nominierte Gut steht hinsichtlich Landschaftsgestaltung, Vernakulärarchitektur und Technik exemplarisch für den Schnittpunkt menschlicher Werte, Wissenstransfer, Leistungsfähigkeit und Innovationvermögen freier Personen. Basierend auf Rechten und Pflichten freier Siedler mit eigener Verfassung, eigenem Rechtswesen und demokratischer Mitbestimmung begründen sie den Wissenstransfer aus dem Alten Land: Entwässerungswesen, Entwicklung von Transportrouten, Aufbau internationalen Handels, Innovationen im Obstbau, Transportsektor, Schiff- und Orgelbau.
Kriterium (iv) Landschaften, die einen bedeutenden Abschnitt in der Geschichte der Menschheit symbolisieren: Das nominierte Gut repräsentiert als besterhaltenes Beispiel einen bedrohten Kulturlandschaftstypus: Einst für die europäischen Küstengebiete und Flussniederungen typisch, ist er heute durch Nutzungsaufgabe, Klimawandel oder Infrastrukturprojekte zunehmend vom Untergang bedroht, wodurch dem Gut eine herausragende Bedeutung als Geschichtszeugnis zukommt.
Kriterium (V) Siedlungsform, Bodennutzung, Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt: Das nominierte Gut ist ein herausragendes und komplettes Zeugnis einer überlieferten menschlichen Siedlungsform und Bodennutzung, die typisch waren für die Kultivierungsvorgänge des Hochmittelalters und der Frühen Neuzeit. Es zeigt in beeindruckender Weise die Wechselwirkung zwischen Mensch und Umwelt. Die dynamische Kulturlandschaft wird seit dem 12. Jh. exemplarisch und kontinuierlich an die sich wandelnden natürlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfordernisse angepasst, bei gleichzeitiger, bewusster Bewahrung der authentischen Strukturen.
Traditionskerne und Pufferzone – mit was bewirbt sich das Alte Land genau?
In dieser nationalen und seriellen Bewerbung, die aus mehreren räumlich getrennten Gütern besteht, wurden Traditionskerne erarbeitet, an denen das Besondere des Alten Landes exemplarisch sichtbar wird. Diese Traditionskerne liegen in einer Pufferzone, welche die Samtgemeinde Lühe und die Gemeinde Jork mit einer Fläche von 120 km² und 22.000 Einwohnern umfasst. Die Zone ist identisch mit dem Kerngebiet des niedersächsischen Teils des Obstbau-Sondergebietes. Die Pufferzone stellt keine eigene Schutzkategorie im rechtlichen Sinne dar. Sie dient dazu, die Kernzonen eines Welterbegutes zu schützen bzw. potentielle Gefährdung abzupuffern. Sie ist eine Art Bekenntnis des einreichenden Staates zum nominierten Gut und verleiht den handelnden Akteuren vor Ort mehr Gewicht bei überregionalen Infrastrukturplanungen.
Die dreizehn Traditionskerne
Mittelalterlicher Elbdeich in Borstel (2019)© Claus Ropers1. Kirche St. Mauritius, 11./12. Jh. Runder Wehrturm der Hollerner Kirche, einzig erhaltendes Bauwerk aus der Hollerzeit und ältester Siedlungsbeweis; 17. Jh. Arp-Schnitger-Orgel (immaterielles Welterbe Orgelbau und Orgelmusik).
2. Denkmal-Ensemble in Borstel, 12. Jh. Mittelalterliche Elbdeich mit steilen Böschungswinkeln mit Mühle, steht exemplarisch für Wasserbau, Deichbau, Deich- und Rechtsgeschichte. Links die alte Hauptstraße, rechts die K 39, deren Straßenführung dieser historischen Deichlinie folgt.
Luftaufnahme vom Großen Brack (2017)© Martin Elsen3. Das Große Brack, ab 12. Jh., es entstand durch mehrere Deichbrüche an gleicher Stelle. Als Bodendenkmal steht es exemplarisch für Kampf gegen Fluten, Deichbau und Rechtsgeschichte. Die heutige K 39 verläuft auf der historischen Deichlinie des alten Elbdeichs (Bodendenkmal). Mit seiner großen Wasserfläche mit Reetflächen, Erlen und Weidenbewuchs steht das Große Brack exemplarisch für die ursprüngliche Naturlandschaft vor der Urbarmachung durch die Hollerkolonisation.
4. Die Lühedeiche, 12. Jh. Die Flussdeiche beiderseits der Lühe stehen unter Denkmalschutz. Sie stehen exemplarisch für Deichbau/Rechtsgeschichte und die typischen linearen Siedlungsstrukturen: Deichlinie, Weg, Vorgärten, Hofstelle mit zum Deich giebelständigen Häusern.
Die Deichbebauung in Estebrügge (2021)© Silvia Hotopp-Prigge5. Estebrügge, Deichbebauung, 14. Jh. Die charakteristischen Häuserzeilen stehen als Ensemble unter Denkmalschutz. Sie sind exemplarisch für die kleinstädtisch anmutenden Bürgereien, die sich als Siedlungskerne an Brücken und Verkehrsknoten in der Hollerkolonie entwickelten. An der Kreuzung von Schifffahrtsweg und Landweg war Estebrügge ein wichtiger Handelsplatz. Handwerker, Kaufleute, Reeder und Gastwirte siedelten hier an.
6. Gräfenhof in Jork, 13. Jh., Hofstelle; 16./17. Jh. Der stattliche Hof ist heute das Rathaus der Gemeinde Jork, die für die aufwendige Restaurierung das Europa Nostra Diplom erhielt. Der rückseitige Prunkgiebel für die Altländer Kulturlandschaft typische Prunkgiebel mit den hiesigen Stilelementen der Barockzeit steht exemplarisch für Baukunst, Verwaltung und Rechtswesen.
Die Landesstube in Jork und Siegel (2019)© Altländer Archiv7. Landesstube in Jork und Siegel, 13. Jh. Landesgemeinde Altes Land; 17. Jh. Gebäude. Nach frühem genossenschaftlichem Prinzip organisierten die Altländer ihre Verwaltung selbst und spätestens ab 1361 führten gewählte Hauptleute das Siegel der Landesgemeinde und vertraten das Alte Land nach außen. Das Baudenkmal steht exemplarisch für Verwaltung, Selbstbewusstsein, Handwerkskunst und Baukultur.
8. Altenteilerhaus in Guderhandviertel, 16. Jh. An dem ältesten noch erhaltenen Fachwerkgebäude sind Selbstbewusstsein, Frömmigkeit und der außergewöhnliche Wohlstand der Bauernschicht im Alten Land ablesbar. Das Baudenkmal steht exemplarisch für Rechtswesen, insbesondere Erbrecht und Altenteil, sowie Handwerkskunst und Baugeschichte.
Der Harmshof, mittelalterliche Hofanlage in Königreich (2019)© Silvia Hotopp-Prigge9. Harmshof, mittelalterliche Hofanlage in Königreich. Schriftliche Anfänge sind durch Steuerlisten von 1535 belegt. Das große Fachhallenhaus von 1606 hatte bereits einen Vorgängerbau. Der klassizistische Prunkgiebel wurde im 18. Jh. erreichtet. In den Wirtschaftsgebäuden des denkmalgeschützten Ensembles wurden die wertvollen, hölzernen Bauteile von Vorgängerbauten wiederverwendet und machen seine Baugeschichte nachvollziehbar. Der Harmshof steht für Landwirtschaft, Baukultur sowie die Hauptleute.
10. Hof Kolster mit Prunkpforte. Die Hofstelle wird erst 1524 erwähnt, ist aber bereits sächsischen Ursprungs und steht deshalb exemplarisch für den kulturellen Einfluss der Hollerkolonisation innerhalb des Gutes und die damit einhergehenden Frauenrechte im Alten Land. Die Altländer Prunkpforte ist ein einzigartiges Statussymbol des selbstbewussten Altländer Bauernstandes und steht exemplarisch für Wohlstand, Handwerkskunst und Baustil.
St. Martini-et-Nikolai in Steinkirchen (2021)© Silvia Hotopp-Prigge11. Martini-et-Nikolai in Steinkirchen, 12. Jh. Die steinerne Kirche ist namensgebend für den Hauptort der Ersten Meile, der 1148 erstmalig erwähnt wird. Der Umbau zu dem heutigen barocken Saalbau erfolgte 1685 bis 1787. Seit 1685/87 erklingt hier eine Arp-Schnitger-Orgel. Kirche, Kirchhof und die Steinkirchener Bürgerei stehen als Ensemble unter Denkmalschutz, als Bau- und teilweise als Bodendenkmäler. Die Kirche steht für Baugeschichte, Wohlstand der Altländer sowie das immaterielle Welterbe: Orgelbau und -musik.
12. Esteburg in Moorende. Das Wohnhaus des Rittergutes wurde 1609 erstmalig von dem damaligen Altlänger Grafen von Schulte erbaut, der von hier seine Ländereien im Alten Land verwaltete. Das Ensemble ist geschütztes Bau- und Bodendenkmal. Die Flächen werden seit 1965 von der Obstbauversuchsanstalt bewirtschaftet. Das Gut steht für 700 Jahre Obstbau, Innovation und Wissenstransfer aus dem Alten Land in die Welt.
Borsteler Hafen mit Tjalk (2021)© Silvia Hotopp-Prigge13. Borsteler Hafen mit Tjalk. Wettern und Fleete des Entwässerungssystems wurden als Verkehrswege genutzt. Fast jeder Hof hatte einen Kahn und einen Anleger. Im Alten Land wurden eigene Schiffstypen entwickelt (u. a. das Feederschiff). Der Borsteler Hafen mit der Tjalk steht als Ensemble unter Denkmalschutz, teilweise unter Naturschutz. Im Vordergrund die Borsteler Schleuse. Der Hafen steht exemplarisch für Schifffahrt, Schiffbau, Handel, Hafengeschichte und Entwässerung.
Kulturlandschaft Altes Land
Die Estedeiche (2021)© Silvia Hotopp-PriggeDas Alte Land erstreckt sich über 30 km an der Elbe von den Toren der alten Hansestadt Stadt Stade bis nach Moorburg, heute ein Stadtteil von Hamburg, als ein einzigartiger Kulturraum. Die Grenzen des Alten Landes sind im Wesentlichen natürliche: Im Nordosten bildet der breite Mündungsarm der Elbe seine Abgrenzung, im Südwesten ein 0,5 bis 3 km breiter Moorgürtel, im Nordwesten die Mündung des Flusses Schwinge und die Stadt Stade, im Osten verjüngt sich die Ausdehnung des Alten Landes und grenzt dort an die Marschsiedlung Moorburg. Schwinge, Lühe und Este, drei Nebenflüsse der Elbe, zergliedern das Alte Land auf natürliche Weise in drei Bezirke, die entsprechend der Kolonisierung bis heute Erste, Zweite und Dritte Meile genannt werden. Der Altländer Obstbau ist auf die Geschlossenheit der Region, das Alte Land als Ganzes ist auf einen wirtschaftlich erfolgreichen Obstbau angewiesen – dieser prägt, pflegt und trägt die Kulturlandschaft.
Hollerkolonisation im Alten Land
Ausschnitt aus Karte Westerladekop (1749)© Altländer ArchivDas Alte Land spielt im Rahmen des weltumspannenden Kolonisationswerkes der seriellen Hollerkolonisation im Mittelalter eine zentrale, wohl auch einzigartige Rolle. Die holländischen Lokatoren wurden im 11./12. Jh. durch den Landesherrn zur Kultivierung des sumpfigen Sietlandes an die Elbe gerufen. Sie wurden durch zugesicherte persönliche Freiheit und Landbesitz gelockt. Bis 1236, also innerhalb von 100 Jahren wurden die Drei Meilen eingedeicht und das raffinierte, bis heute intakte Entwässerungssystem angelegt. Die Flurmaße der mittelalterlichen Landvermessung sind bis heute erkennbar und entsprechen den Maßen der holländischen Mutterlandschaften. Aus der Luft ist das Gut durch seine charakteristischen Strukturen – Streifenparzellierung, Deich- und Marschhufendörfer, dicht besiedelte Bürgereien – deutlich zu identifizieren. Zeitgleich mit den ersten Deichen erfolgten die planmäßige Parzellierung und die Anlage von Entwässerungsgräben. Im Abstand von 15 bis 20 Metern verlief sie senkrecht zum Deich in eine parallel zum Deich verlaufende Wettern, die das Wasser per Siel durch den Deich in den Fluss leitet. Nach der Kultivierung verfügten die Kolonisten über gleich große, streifenförmige Hufen. Eine Hufe, mittelalterliche Maß einer Hofstelle, ergab sich aus auch nebeneinander liegenden, 15 bis 20 Meter breiten „Stücken“ (Beetstreifen) plus den dazwischen liegenden Entwässerungsgräben. Das Entwässerungssystem wurde im Laufe der Jahrhunderte dem sinkenden Grundwasserspiegel angepasst. Heutzutage sind die rein mechanischen Siele und Schleusen vielerorts durch Pumpen ersetzt worden und die Entwässerungsstrukturen dienen auch der Bewässerung.
Obstbautradition im Alten Land
Obstblüte im Alten Land (2020)© Silvia Hotopp-PriggeDie Hollerkolonisten trotzten dem Fluss das Land ab und machten es urbar. Regelmäßiger Aushub des nährstoffreichen Kleis aus den Gräben und Verteilen auf dem Land hielt die Gräben in Funktion und den Boden fruchtbar. Begünstigt vom milden Kleinklima, dem grabenbedingten Mikroklima, gedieh Obst – bereits im Jahr 1320 ist der erste Obsthof nachweisbar. Vieh weidete unter den noch hochstämmigen Obstbäumen. Später zwangen die kleinen Betriebsgrößen zur Umstrukturierung und die Viehhaltung wurde abgeschafft. Für effizientere Arbeitsabläufe, höhere Sicherheit und bessere Obstqualität werden die Tafelsorten heute auf schwachwachsenden Unterlagen veredelt. Heute ist das Alte Land das größte geschlossene Obstanbaugebiet Nordeuropas. In Jork-Moorende ist das Obstbau-Versuchs- und Beratungszentrum (OVB) heute als Kompetenzzentrum für Praxis und Theorie des Obstbaus angesiedelt. Hier werden Obstbaubetriebe, Vermarktungsorganisationen, Händler, Entwickler und Zulieferer von Obstbau- und Lagertechnik beraten. Schon seit den 1960er Jahren findet hier neben der wissenschaftlichen Forschung für integrierten und ökologischen Obstanbau Jahren auch die Ausbildung von Obstbauern/-bäuerinnen statt. Zusammen mit der Obstbauschule ist das Beratungszentrum seit 2000 auf den Betriebsflächen der Esteburg, einem alten Gutshof von 1609/11, angesiedelt.
Obstbaum nach der Beregnung im Alten Land (2020)© Silvia Hotopp-PriggeRund 2.000 Obstbaubetriebe, Obstvermarktungsorganisationen, Händler, Entwickler und Zulieferer von Obstbau- und Lagertechnik bis hin zur wissenschaftlichen Beratung für integrierten und ökologischen Anbau durch das Obstbau Versuchs- und Beratungszentrum (OVB) sorgen heute dafür, dass rund 120.000.000 Euro jährlich erwirtschaftet werden. In der Gemeinde Jork sind 3.440 Hektar Obstbau registriert, in der Samtgemeinde Lühe 3.262 Hektar, die gemeinsam etwa 210.000 Hektar Äpfel produzieren, was rund 90 Prozent der niedersächsischen Apfelproduktion entspricht.
Altländer Fachwerk
Brandtür in Königreich (2012)© Silvia Hotopp-PriggeZurzeit zählen wir im Alten Land 479 Baudenkmale, zu denen auch das Altländer Zwei-Ständer-Fachhallenhaus gehört. Im Gegensatz zu den Fachwerkhäusern der Geest fallen die Altländer Häuser durch ihre starken Vorkragungen auf, die das untere Mauerwerk vor Witterungseinflüssen schützen. Fachwerke mit einem Baujahr bis etwa 1650 prunken mit einem reichen Formenschatz an Buntmauerwerk und Schnitzereien. Als Motive im Mauerwerk findet sich oft die Mühle für Wohlstand und den Donnerbesen zur Abwehr von Unglück. Mittlerweile wird die Herleitung der Giebelschwäne zur holländischen Besiedlung kritisch gesehen, weil sie hierfür eindeutig zu jung sind: Ihr erstes Aufkommen ist erst für das 19. Jh. nachzuweisen. Bei der Gestaltung der Fassaden, des Fachwerks, der Fenster und Türen vieler Altländer Bauernhäuser fand der goldene Schnitt seine Anwendung. Die meisten Höfe stehen mit dem Prunkgiebel und der reich verzierten Brandtür zum Deich. Diese Tür war nur von innen zu öffnen und wurde nur benutzt, um die Wertsachen im Brandfall schnell aus dem Haus zu schaffen, denn bei Feuer blieb der Giebel am längsten stehen und man konnte, während seitlich brennendes Reet abrutschte, das Haus durch diesen Notausgang verlassen. Die Legende, dass es sich bei dieser Brandtür um eine Brauttür handelte, die nur bei Einzug der Braut und für der Heraustragen der Toten geöffnet wird, entstand wohl durch einen kombinierten Schreib- und Lesefehler und hält sich bis heute hartnäckig.
Orgellandschaft und Kirchen
Arp-Schnitger-Orgel in Steinkirchen© Claus RopersDie zehn denkmalgeschützten Kirchen des Alten Landes sind reich an Kulturschätzen. Hier konzentriert sich wie kaum anderswo auf der Welt ein orgelhistorischer Bestand von erhaltenen Orgelregistern aus Vorbarock und Barock. Beachtlich ist der große Bestand aus dem 16. Jahrhundert in Borstel. Arp Schnitger, der Meister des norddeutschen Orgelbaus lebte und arbeitete in Neuenfelde. Der Orgelbauerhof, seine Orgeln im Alten Land und sein Grab in St. Pankratius ziehen bis heute Orgelbauer und Kirchenmusiker aus aller Welt an.
Einmalige bäuerliche Traditionen
Trachten und Schmuck im Museum Estebrügge (2021)© Kai RumpBegünstigt durch den fruchtbaren Marschboden, das milde Kleinklima am Elbufer und die verbrauchernahe Lage zu den Märkten der Hansestädte Buxtehude, Stade und Hamburg entwickelte das freie Bauerntum im Alten Land eine einzigartige, prunkvolle selbstbewusste bäuerliche Kultur. Die Altländer Kultur, aufwendige filigrangeschmückte Trachten und kunstvoll gedrechselte Möbel werden bis heute gepflegt bzw. hergestellt. Seit dem 15. Jahrhundert sind Höfe ungeteilt über Generationen im Besitz einer Familie eine Besonderheit dieser Region. Besitzstrukturen, landschaftliche Gegebenheiten, Herrschaftsbedingungen, Vertragsgestaltungen und Rechtsverhältnisse prägten das tägliche Leben der Menschen im Alten Land in den vergangenen Jahrhunderten in besonderer Weise. Das „Olden Landes Ordeninge und Rechteboeke" regelte die Rechtsverfassung. Die Frau nahm im Alten Land immer eine sehr starke Stellung ein – so konnte beispielsweise auch ein gemeinsam verfasstes Testament nicht einseitig zum Nachteil des anderen geändert werden.
Maritime Landschaft und Tourismus
Das Alte Land war aufgrund seiner Bodenbeschaffenheit früher oftmals kaum passierbar. Gräben, Fleete und Flüsse wurden als Transportwege genutzt. An den Fluss- und Prielmündungen entwickelten sich kleine Häfen, Werften und Reedereien bis hin zu einer weltweit operierenden Schifffahrt. Die Seefahrtsschule in Grünendeich bildete unzählige Kapitäne für die große und kleine Fahrt aus. Heute hat dort das Projekt Maritime Landschaft Unterelbe (MLU) sein Domizil. Nach wie vor sind namhafte Reedereien im Alten Land ansässig.
Altländer Blütenkönigin mit Prof. von Droste zu Hülshoff (2005)© Altländer Archiv10 Millionen Obstbäume, die im April/Mai zur Blütezeit ein einmaliges rosa-weißes Naturschauspiel bieten und reifende Früchte, die über den Sommer und natürlich im Herbst zur Erntezeit der Äpfel direkt vor Ort genossen und gekauft werden können – das macht den besonderen Reiz für die Besucher des Alten Landes aus. Doch die Attraktivität des Alten Landes rein auf diese alljährlichen Naturphänomene zu beschränken, wäre zu wenig. Eine Reihe von Faktoren sind für das Alte Land imagebildend. Dazu gehört auch die geographische und optische Einheit des Landschaftsbildes. Durch die Urbarmachung und Inwertsetzung der Marsch durch den Menschen wurden die charakteristischen mittelalterlichen Flurstrukturen geschaffen, die teilweise bis heute erhalten sind. Viele denkmalgeschützte Fachwerkbauten und Kirchen sowie die typischen Marschhufendörfer und Reihensiedlungen als Siedlungstypen vermitteln den Besuchern ein homogenes Bild einer sich stimmigen Kulturlandschaft, in der die Natur erlebbar wird.